Blättertod 5 – Was ist ein Artikel online wert?

(enthält Ergänzung Sept. 2015 zu „blendle“)

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Im Marketing ist eine Frage wie „Was ist das oder jenes wert?“ totaler Unfug. Denn dort lautete die Antwort immer schon: „Es ist das wert, was Leute bereit sind dafür zu bezahlen.“ Und die eigentliche, alles und jeden im Marketing beschäftigende Frage ist: „Wie kriegen wir die Leute dazu, für dieses oder jenes Geld auszugeben?“. Und egal welche großräumigen Weltsichten jemand auch immer haben mag – jeder mit einem Minimum an Fähigkeit zur Selbstkritik wird zugestehen müssen, diesen Marketing-Leuten schon mal oder öfter oder durchgängig auf den Leim gegangen zu sein.

Nehmen wir ein höchst beliebiges Beispiel. Menschen – hier als Gattungsbegriff gemeint – mögen Geschichten. Manche von ihnen mögen sie etwas mehr, andere etwas weniger als der Durchschnitt, viele haben bestimmte Vorlieben für gewisse Arten von Geschichten, einige sind sogar fixiert auf nur sehr wenige Typen von Geschichen. Ganz grundsätzlich aber steht eins fest: es gibt einen „Markt“ für Geschichten bei der Gattung „Mensch“. Selbst wenn niemand irgendwas besonderes täte, würde sich Angebot und Nachfrage sozusagen von selbst organisieren und entwickeln. Es gäbe immer jemanden, der etwas erzählt und immer jemanden, der der Erzählung lauscht und meist werden es mehrere sein. Soziale Praktiken, Bedarf und qualifizierbare Angebote – das ist ein Pfund, mit dem Marketing-Spezialisten wuchern können. Sie können damit Moden und Verwertungs­ketten nach Belieben basteln. Und hoppla, nach nur ein paar tausend Jahren Marktgeschehen hat man zum Beispiel eine Verwertungskette,

  • die in Büros, Banken und Filmstudios beginnt,
  • zu Kinobetrieben überall auf der Welt führt mit einem Zugangspreis von X für einen beliebigen Geschichtenbetrachter,
  • nach einem gewissen Zeitraum danach bei Elektrohökerern mit BluRay-, DVD- oder VHS-Dingern weitergeht mit einem Zugangspreis von Xplus für einen beliebigen Geschichtenkäufer,
  • circa gleichzeitig anknüpft bei Geschichtenmietern in Verleih-Shops für einen Zugangspreis von Xminusminus,
  • dann wiederum nach einer weiteren Zeitspanne zu eingeschränkten Massen-TV-Ausstrahlungen führt für Geschichtenabonnenten, die einen Preis Y für ihr vorrangiges Massenzugangsrecht zahlen, von dem auf die Geschichte bezogen ein gewisser Teil entfällt (so etwas wie 1% von X),
  • und nach einer weiteren Zeitspanne kommt es dann endgültig im allgemein und „frei“ empfangbaren Massen-TV an, bei dem immer noch ein hoher Preis für den Zugang entrichtet wird (durch Gebührenanteil oder Werbeknete), aber für den einzelnen Geschichtenbetrachter vor der Glotze dieser Zugangspreis nicht mehr spürbar wird durch die (verdeckte) Verteilung der Kosten.
  • Ungefähr zu diesem Zeitpunkt der Massen-TV-Ausstrahlung sinken auch die Medienkosten bei den Hökerern massiv auf beispielsweise Xminusminus oder bei längerem Zeitraum nach Ausstrahlung auf Xminusminusminus. Bei Zentral-Hökerern wie Amazon landet das Medium der Geschichte dann auf den Grabbeltischen der „Sonderangebote“.
  • Irgendwann danach kann man die Erfolgsgeschichte immer mal wieder ohne individuelle Zugangskosten sehen im Massen-TV, auf „streaming“-Diensten oder als Medien-Beilage eines anderen Mediums (einer Zeitschrift z.B.). In diesem Zeitbereich ist die Erfolgsgeschichte nicht mehr als Massenprodukt verkaufbar. Mit etwas Glück und/oder aufgrund des investierten Geschicks kann allerdings die Erfolgsgeschichte mittlerweile in eine Art allgemeinen, heute auch gern „globalen“ Geschichtenfundus eingegangen sein, in dem jede einzelne Erfolgsgeschichte eine „Marke“ geworden ist, an die sich immer wieder neu und auch auf völlig anderen Geschäftsfeldern anknüpfen läßt (z.B. könnte Lego ein bestens abverkaufbares „Set“ auf Grundlage der Erfolgsgeschichte auf den Markt bringen).

Das ist grob beschrieben eine Wunschverwertungskette einer erfolgreichen Geschichte, die auf Bedarf trifft. Zugleich, parallel zu solchen erfolgreichen Geschichtsabverkäufen und unabhängig von einzelnen Erfolgsgeschichten, gibt es andere Geschichten, die auf geringeren, geringen oder gar keinen Bedarf treffen. Manchmal wissen die Banken und Filmstudios das schon im vorhinein, manchmal ergibt sich das mehr oder weniger schnell aus den Zugangszahlen im Abverkauf. Bei grund­sätzlicher Beibehaltung des Modells der Verwertungs­kette kann man dann an verschiedenen Schräubchen drehen – man kann die Zeiträume zwischen den Medien­über­gängen kürzen, den Zugangs­preis X schneller senken, Pakete für die Kino­ketten, das TV und die Hökerer schnüren, in denen der Ramsch mit den Erfolgs­geschichten gebündelt wird und dadurch trotzdem noch was reinkommt für die erfolglose Geschichte und so weiter und so fort. Die Ver­wertungs­kette ist auf’s Gros betrachtet immer eine Misch­kalkulation mit vielen Ein­wirkungs­möglich­keiten.

Eine Sache ist an dieser Stelle schon völlig klar: die Marketing-Spacken haben völlig recht. Die gebastelte Verwertungskette beweist eindeutig, dass (auch) die Erfolgs­geschichte selber und aus sich heraus nichts „wert“ ist – auf einer lang­fristigen Zeit­achse gesehen landet der erzielbare Zugangs­preis immer bei durchschnittlich Null aus der Geschichten­­betrachter­­per­­spek­tive. Das wäre auch bei völlig anderen Ver­wertungs­­ketten genau gleich – wenn bei­spiels­weise Geschichten oral durch trainierte Geschichten­­erzähler vermittelt würden, die in der Karawanserai oder am Lagerfeuer den Hut herumgehen lassen, dann sinkt der Wert der einzelnen Geschichte auf der Zeitachse auch immer auf durchschnittlich Null. Selbst wenn man nur den Zeitraum der möglichen Verwertung einer Geschichte betrachtet ist klar, dass der Zugangspreis von „Natur“ aus sehr elastisch ist – er geht im idealen Fall aus Marketing­­per­spek­tive auf der Zeitachse von überhöhtem Preis, der so lange wie möglich zu halten ist, zangsläufig über in einen freien Fall der Kurve, die soweit als möglich abzuflachen ist.

Ebenfalls klar ist an dieser Stelle, dass es einen Zeitbezug zum „Wert“ gibt bzw. einen Bezug des „Wertes“ zum Neuigkeits­faktor. Neues hat einen höheren Preis als Altes. Aus Sicht der Marketing­leute ist es allerdings ein großes Geschenk der Schöpfergöttin an sie, dass die Menschen ganz und gar nicht heikel sind bei der Geschichtenzuhörerei. Man kann ihnen dieselbe Geschichte unendlich oft erzählen, wenn man nur ein paar Details ändert. Und man kann ihnen auf den Punkt dieselbe Geschichte erzählen, indem man das Medium ändert – also etwa die Erzähl­geschichte auf die Bühne bringt, das Bühnenstück auf Zelluloid mit Klavier­­unter­­malung und Zwischentitel uminszeniert, die olle Schwarzweiß-Kamelle neu als Starkino-Blockbuster rausbringt, VHS-Kassetten, DVD, BluRays produziert und dann das Ganze mit „3D“ oder höherer Auflösung oder mit neuen Schauspielern oder neuem Regisseur oderoderoder…. nochmal. Jedes Mal – alte Geschichte mit geänderten Details oder alte Geschichte mit neuen „features“ – kann man die gute alte Ver­wertungs­kette von neuem starten mit denselben Leuten als Publikum. Und dann kommen ja auch (bislang) noch immer neue Leute nach, denen man die ollen Stories von anno dunnemals wieder neu verkaufen kann.

Für so eine Geschichtenverbreitung ist nun auch klar, dass es dabei alle möglichen Kosten gibt. Für eine Film-Erfolgs­geschichte muß es einen Writer geben, Beleuchtungsleute, Dixi-Klos, einen Director, Bankvorstände und zugehörige Banken, ein Kapital­­system, ein Studio, Technik, Kinos, Parkplätze, Strassen, Publikum, Löhne & Gehälter, Popcorn, Laden­­lokale, Sende­­masten, TV-Geräte, Strom… alles mögliche eben. Manches davon wird getragen durch die Misch­­kal­­kulationen ganzer Staaten und Gesell­schaften, manches durch diejenige der Konzerne und Einzelbetriebe, manches muß die Produktion der Erfolgs­geschichte selber beitragen zu den Kosten. In den entrichteten Zugangs­preisen der Geschichten­­betrachter müssen alle diese Kosten enthalten sein – direkt als anteilige Kapital-, Produktions-, Distributions- und Geschäfts­kosten und indirekt als Steuern und Umlagen für allen möglichen Kram. Zusätzlich soll nach Möglichkeit noch ein saftiger Happen zusätzlich aus den Zugangs­preisen herausspringen für alle Kosten­träger – möglichst bei jeder einzelnen Geschichte, ansonsten aber mindestens im Durchschnitt aller Geschichten­ver­breitungen. Solange das Modell so läuft ist alles bestens, von den Erzählern und Kapital­­gebern angefangen bis hinunter zum kleinen Mädchen, das von seiner Mama zum neuesten Weihnachts-Disney gefahren wird und sich in Vorbereitung darauf und in Nachbereitung dazu alle in Besitz oder Phantasie befindlichen Disney-Prinzessinnen-Vorlagen spielerisch durcharbeitet.

Zeitungen sind im Geschichten-Business einfach nur ein anderes Medium, ein anderer Player. Sie verkaufen einen beständigen Strom neuer Geschichten, alte Geschichten im neuen Outfit und alte Geschichten in Zyklen an neue Käufer (und natürlich noch jede Menge Krimskrams drum herum). Die klassische Geschichtenverbreitung einer Tageszeitung besteht aus Dutzenden oder Hunderten von Einzelgeschichten, zusammengefaßt nach irgendwelchen Ordnungskriterien und Rubriken in einer Ausgabe (körperlich ein Stapel Papier mit einem Einzelpreis), wobei die Ausgabe eine mehr oder weniger variable Auflagenhöhe hat, die an Abonnenten oder Einzelkäufer verhökert wird. Die Mischkalkulation der Zeitung besteht aus Kosten für Produktion und Vertrieb und Einnahmen aus Abverkauf, Werbung, Annoncen und Lizenzrechten. Den Zeitungsleser – oder hier besser: Zeitungskäufer, weil es hier um „Wert“ gehen soll – interessiert dabei im Zusammenhang wesentlich der Einzel- oder Abopreis. Wenn der Einkaufspreis für die Geschichten der Zeitung „stimmt“, gab/gibt der Käufer das Geld für die Zeitung aus – wenn nicht, dann eben nicht. Als Käufer kann er sich auf dem alten Markt der Papierzeitungen auch kategoriell und thematisch sehr differenziert und diversifiziert bedienen – vom „Billigprodukt“ mit bestimmten Eigenschaften über Brot-und-Butter-Tageszeitungen, häufig mit lokalem/regionalen Bezug, bis hin zu spezialisierten „Hochpreisprodukten“, die irgendwelche Sparteninteressen bedienen.

Wieviel ist bei einer klassischen Papierzeitung ein Artikel „wert“? Auf den ersten Blick ist das eine einfach zu beantwortende Frage aus der Zeitungskäufersicht: wenn eine Zeitung 2 Euro kostet und zweihundert Artikel enthält (völlig fiktives Beispiel!), dann ist der Einzelartikel einen Cent wert. Den Zeitungskäufer muß dabei nicht mal ansatzweise interessieren, dass von den „200“ Artikeln vielleicht 150 aus irgendwelchen Agenturen fremdeingekauft wurden, weitere 20 oder 30 von Pressestellen von Betrieben, Vereinen, Institutionen oder sonstwoher kostenfrei übermittelt wurden an die Zeitung, weitere 5 oder 10 schlichte bezahlte Werbung sind, die nur wie ein Artikel aussehen und nur ein unter Umständen kleiner Rest tatsächlicher redaktioneller Anteil dessen ist, was vorne auf der Zeitung als Zeitungsname drauf steht. Es ist dem Käufer deshalb auch egal, ob der Einzelartikel umgerechnet auf die Kalkulation des Betriebes zu 90% oder mehr irgendwas um die 0,0???1 Cent kostet und vielleicht nur ein einziges Prozent überproportional „teuer“ war. Wenn der Gegenwert „Blätterstapel“ sich in seiner Bewertung mit dem Einkaufspreis ungefähr deckt oder gar diesen signifikant übersteigt, dann hat er – der Zeitungskäufer – ein prima Geschäft gemacht. Wenn das für die Zeitung auch gilt, soll es dem Käufer nur recht sein.

Auf den zweiten Blick ist das mit „einfachen“ Wert/Gegenwert-Überlegungen nicht ganz so einfach. Es gibt bestimmt immer noch Zeitungskunden, die jeden einzelnen Buchstaben ihrer Zeitungsausgabe lesen (warum auch immer) – und genauso wie es Leute gibt, die abends die Münzen in ihrem Portemonnaie nach Größe sortieren, wird es solche Zeitungsleser immer geben. Aber es waren nie viele und es werden gewiss auch immer weniger werden. Die allermeisten Käufer werden im allgemeinen nach den ihnen eigenen und bekannten Interessen die vielfältigen Angebote einer Ausgabe entweder von vorneherein scharf selektieren (nur „Sport“, nur „Feuilleton“, nur „Kreuzworträtsel“…) oder aber wie wohl am „üblichsten“ vieles kurz überfliegen (man kennt ja in „seiner“ Zeitung schon das meiste an der Stelle im Blatt, am Verfasser, am Thema…) und nur einzelne Interessengebiete durch sorgfältigeres Lesen in Augenschein nehmen. Auch dann kann es schnell passieren, dass man nach Lead und einigen wenigen Sätzen schon mit „jajablödsinn…“ abbricht und weiterfliegt. Dann gibt es noch „spezielle“ Käufer von Zeitungen, die ausschließliche Interessen an bestimmten Service-Rubriken haben (Wohnungsmarkt, Aktien-Indizes, Horoskop…) und für die der gesamte sonstige Papierstapel von vorneherein kompletter Abfall ist. Was er übrigens für die ganz überwiegende Zahl aller Käufer nach Durchsicht (oder auch ohne Durchsicht) in jedem Fall ist – ein durchaus erklecklicher Haufen an Papierabfall. Wenn man als Käufer rekapituliert, was man in einer konkreten Ausgabe einer Zeitung real „gelesen“ / „mit persönlichem Gewinn verwertet“ hat, sieht die obige Simpel-Relation von 1 Cent/Artikel unter wahrscheinlichen Umständen nicht mehr so rosig aus. Wer typischerweise von einer „SZ“, „F.A.Z“, „Welt“, „WAZ“, „Spiegel“, „Zeit“ nur drei bis sagen-wir-mal-großmütig zehn Artikel konsumiert, der mag sich gelegentlich fragen, ob die real 10 bis 50/60 investierten Cent pro gelesenem Artikel den Einkaufspreis der Zeitung eigentlich wirklich wert sind. Für die vergangenen Jahrzehnte und derzeit lautete die Antwort von durchaus Vielen darauf: „Ja“ – *aber* die unter Umständen nicht ausgesprochenen Einschränkungen wurden im Verlauf dieser Jahrzehnte auch immer deutlicher.

Denn die Zeitungen sind wie angemerkt eben nur ein Player von mehreren im Geschichten-Business. Es gibt klassische Konkurrenten wie etwa Komplettignoranz des gesamten Zeitungs-Segments für Geschichten oder den Stammtisch, das Radio, TV… – und es gibt neuere Konkurrenten: das Netz mit seinen diversen Formen von „News“ und daraus folgend / damit einhergehend die Entwicklung von Partial-Segmenten und -Interessen. Die Veränderung geht schon beim Medienträger los, denn ein Blätterstapel ist etwas sehr anderes als ein Bildschirm oder gar ein Tablet- oder „Smartphone“-Display. Und das geht natürlich noch viel schwieriger weiter damit, dass durch den system-immanenten Wildwuchs an Angeboten im Netz die Kundenseite sehr genau (in Massen!) selektieren kann, was sie wünscht und was nicht. Die Erfolge von journalistisch gesehen grauenhaften Billig-Aggregatoren oder – noch schlimmer – die Hinwendung von gigantischen Aufmerksamkeitsmengen zur „privaten“ Echokammer „soziale Netzwerke“ oder zu „Reddit“, „heftig.co“ und vergleichbar kann man als „klassisches“ Ignoranzproblem klassifizieren, das es eben schon immer gab – aber die Auflage ist dann trotzdem futsch.

Aber das macht ja nichts, weil: die Zeitungen können auch alle „Netz“. Schon immer und – selbstverständlich! – auch immer schon besser als das „Netz“. Die „schwarze Kunst“ hat schon viele Stürme überstanden und ist gestärkt daraus hervor­ge­gangen, da wäre es doch gelacht, wenn den neuen Anforderungen nicht begegnet werden könnte. Also sind die Zeitungen im Netz (gut) vertreten. Das anderwärts schon angesprochene und beschriebene Problem hierbei ist, dass die (erheblichen!) Kosten für die Netzpräsenzen der Zeitungen noch nicht mal näherungsweise hereinkommen – von einem schicken Verwertungsmodell wie oben beim Block­buster­kino beschrieben mal ganz zu schweigen. Derzeit (seit mindestens 1995, in dem ich mit sehr beschränktem, rein öffentlichem Kon­sumenten­blick die ersten Überlegungen zum Problem gesehen habe und mit Sicherheit noch andauernd über einige Jahre nach 2014 hinweg und vielleicht auch auf Dauer) werden bei den Zeitungen eine Vielzahl von Überlegungen angestellt und Projekte angeschoben, wie man kurz-, mittel- oder langfristig den Übergang der Ver­leger­zeitungen in das „Netz“ profitabel gestalten könnte. Bislang habe ich persönlich nicht einen einzigen Vorschlag und nicht eine einzige Idee gesehen, wie das vonstatten gehen könnte. Aber muss ich ja auch nicht als Zahlvieh.

*Was* ich bislang gesehen habe war schlicht und ergreifend untauglich.

Zum Beispiel das auf Werbeknete basierende Modell. Für winzige, unseriöse Aggregatoren „funktioniert“ das (ich nenne hier zwei von hunderten möglichen Beispielen namens mmnews.de oder deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, verlinke sie aber nicht – ggf. kann man sich bei Wikipedia zu den Köpfen der Banden interpretatorisch klar machen, was da läuft). Für seriöse Presse­produkte mit dem ganzen riesigen Aufwand (vor allem für nicht-englischsprachige) kann dieses Modell mangels Klickrate und Reichweite nicht einträglich genug sein. Für nicht-englischsprachige Publikumsmedien ist es auch dann nicht einträglich (genug), wenn das Angebot im Grunde als „clickbait“ ausgestaltet ist. Für die Artikelfrage – „was ist ein Artikel online wert?“ – liefert ein werbe­basiertes Modell eine valide Antwort, auch wenn es nicht en détail beweisbar ist: pro Artikel und online-Betrachter sind es Cent-Bruchteile (wenn es sehr gut „läuft“ vielleicht 0,01 Cent, ansonsten im Normalfall deutlich weniger bis hin zur glatten Null).(**1**)

Zum Beispiel das auf einer „Paywall“ basierende Modell. Ich will mich hier gar nicht lang mit den verschiedenen Möglichkeiten der Ausgestaltung einer „Paywall“ aufhalten, die wird jeder kennen. Vom Prinzip her geht es darum, dass ein Artikel für einen Online-Betrachter dann zugänglich wird, wenn er dafür eine gewisse Summe abdrückt. Man kann vielleicht den Titel (die Schlagzeile), vielleicht auch noch den Subtitel und den Artikelvorspann (online ggf. das „snippet“) lesen, möglicherweise kann man auf dem „Kostenlos“-Teil einer Zeitungs­seite auch eine kurze Zusammen­fassung des Artikels lesen, die wiederum möglicherweise als Anreiz so gestaltet ist, dass ein dadurch Interesse­geweckter den zahlpflichtigen Artikel aufruft.

Erstes Problem und vielleicht das am Schwierigsten zu lösende: es dürfte zu diesem Modell keine Alternative im Netz geben – nirgendwo. Wenn man online genügend andere „News“-Quellen hat (und sei es von miesen Aggregatoren) oder wenn es zu dem konkreten Artikel, der bezahlt werden soll, irgendwo eine ausreichende alternative Version, eine ähnliche Fassung, eine andere ausreichende Quelle gibt – warum sollte dann *irgendjemand* auf Dauer gesehen zahlen? Jeder einzelne bezahlpflichtige Artikel einer Zeitung müßte „exklusiver“ content sein, den man anderswo nicht bekommen könnte. Die Verleger/Zeitungen können diesen Weg zu gehen versuchen (tatsächlich deuten alle Zeichen darauf hin) – über Urheberrechts-Gesetzgebungen in ihrem Modell-Sinn und internationale Netz-Überwachungs- und Kontrollmechanismen und radikales Ausheben sämtlicher Tritt­brett­fahrer könnte so etwas versucht werden zu realisieren. Den ganzen gesetz­ge­berischen Albtraum, schon im nationalen Rahmen, aber vor allem inter­national, den so ein Vorhaben zwangsläufig bedeutet, kann sich kein lebender Mensch und mit Sicherheit und vor allem kein Verleger und Zeitungs-Fiffi auch nur annähernd vorstellen. Aber sie können es versuchen und Glückauf auf dem Weg. Mir zumindest (und natürlich auch unendlich vielen anderen) ist es ein Leichtes, sich *jede Menge* realisier­bare Umgehungen von Schutz­rechten im immateriellen Bereich vorzustellen – vom user generated content aller Art mit eigener Gestaltungshöhe und unangreifbar von seiten dubioser Rechtehalter (man denke dabei etwa an das Zitatgebirge Wikipedia oder an den eigentlich völlig schlichten Aggregator „Perlentaucher„) bis zu gewerblichen Lösungen (z.B. Kleinstfirmen mit minimalem Aufwand, die an Agenturen angeschlossen sind mit Weiterverbreitungsrecht, die ihrerseits wieder Aggregatoren füttern). Ich glaube nicht, dass dieses Vorhaben klappen kann.

Zweites Problem: was ist, wenn alle (im Sinne von 95+% potentielle Käufer) im Netz dauerhaft weiterhin auf „umsonst“-Seiten surfen? Auch in Deutschland ist diese Erwartung aus Erfahrungs­tat­beständen bei anderen Medien heraus ganz und gar nicht hypothetisch oder abwegig – „normaler­weise“ dürfte es Schrott­sender wie all‘ den Privat­sender-Dreck mit all‘ dem Werbemüll gar nicht geben und zwar nach Wert­urteilen praktisch aller Zuschauer ebendieser Sender! Über die Realität der Zuschauer­quoten muß nichts weiter gesagt werden. Selbst wenn (was in Deutschland auch heute, 2014, noch ungewiß ist!) das Pay-TV sich dauerhaft als Massen­medium durchsetzen kann, bliebe es trotzdem nur ein Sparten-Medium ohne Reichweite – mal davon abgesehen, dass sich so ein Sparten-Medium auch wieder atomistisch unterteilt: die Liga-Gucker, die Fußball-Gesamtgucker, die Sport-Gucker, die Doku-Gucker, die Sport- und Doku-Gucker, die Film-Gucker… ohne jedes Ende). Und selbst wenn eine Sparte kassen­trächtig wäre für Zeitungen, sagen wir mal beispielsweise: Fußball – es ist *völlig* abwegig zu denken, damit könne man eine Zeitungs­web­seite monetarisieren! Das Geschäft macht dann sport-bild.de oder kicker.de und nicht die sport-FAZ. Ansonsten sind das die Zeichen der Zeit und zwar diejenigen von Jahrzehnten (auch „im Netz“): die ganz überwiegende Masse zahlt nicht – nicht wegen über­triebenem Geiz usw., sondern weil es genügend „umsonst“-Angebote gibt, die den Bedarf bestens decken. Und das *wird* auch so bleiben. Selbst dann, wenn es auf die unangenehme Vorstellung herausläuft, dass die großen Kraken Google, Facebook etc. alles Volk bei sich in ihren diver­si­fi­zierten Teil­bereichen gefangenhalten – *die* können sich aufgrund von Skalierungs­effekten durch Werbeknete sattmachen.(**2**)

Drittes Problem und eigentlich das Unwichtigste, obwohl es für den ganzen riesenlangen Vorlauf den eigentlichen Anlass lieferte: Was ist ein Artikel online (hinter einer paywall) wert?

Ich habe keine Ahnung und keine Vorstellung in ver­all­ge­meinerungs­würdiger Hinsicht. Das zumindest muß ich klar zugeben. Aber: meiner Meinung nach haben das auch die Zeitungs­leute nicht. Und das ist dann schon ein Problem.

Bis jetzt sind folgende Zahlen aus der Käuferperspektive in irgendeinem Zusammenhang aufgetaucht:

  1. Durchschnittswert pro Artikel in einer Papierausgabe: irgendwas zwischen 0,? und 2, 3 Cent maximal
  2. „realer“ Wert pro gelesenem Artikel in einer Papierausgabe (bei geschätzt 2 bis 10 gelesenen Artikeln): irgendwas irgendwo zwischen 10 und vielleicht 50 Cent
  3. online-Erlös eines Artikels bei Werbemodell pro Leser: irgendwas zwischen glatter 0 und Cent-Bruchteilen

Bei Nummer Zwei muß man meiner Ansicht eine mir vernünftig erscheinende Annahme als Einschränkung ergänzen: eine Tageszeitung mit einer dauerhaft schlechten Ratio würde nicht lange konsumiert werden – ich persönlich und ausdrücklich als reine Meinung gekennzeichnet würde alles jenseits von 10 Cent als Artikel-Ratio für eine Zeitung als dauerhaft unzureichend empfinden und auf eine andere Zeitung wechseln oder das Zeitungkaufen aufgeben.

Ergibt also als Privatmeinung: irgendwas zwischen Null und 10 Cent wäre mir ein neuer, mich ansprechender Artikel auf einer Zeitungsplattform im Einzelfall (vielleicht! s.o. Problem „erstens“ und „zweitens“) wert, mit einer ziemlich eindeutigen Tendenz zum deutlich weniger als 10 Cent.

Egal welcher Artikel – das muß vielleicht deshalb ergänzt werden, weil manche hier vielleicht auf die Produktionskosten hinweisen würden, die bei bestimmten Artikeln hoch, bei anderen bei nahe Null liegen. Aber für den Konsumenten ist das wie oben beschrieben nicht relevant! Ja – „heute“ interessiere ich mich für einen billigen Spielbericht, „morgen“ vielleicht für eine Intensivreportage aus irgendeinem Kriegsgebiet, „übermorgen“ für einen Sponsor-Werbeartikel zu irgendeinem Produkt. Aus meiner Sicht ist das Interesse – der Wunsch den Artikel zu lesen – immer gleich und gleich viel wert.

Das ist glaube ich schlecht für Zeitungsleute. Denn die stossen bei so kleinen Summen auf echte Probleme. Mal abgesehen davon, dass die Verwertungs­gesell­schaft für Zeitungs­verleger, die Verleger selbst und auch die Zeitungen und ihre WilliWichtig-Kohorten in den vergangenen 20 Jahren keinen einzigen Finger krumm gemacht haben, um eigenständige Micropayment-Systeme zu entwickeln oder gar zu etablieren. Ebenso abgesehen davon, dass bislang nicht ein einziges Zeichen von Verlegerseite aus signalisiert wurde, sich in so einem – für Konsumenten völlig natürlichen! – Wertebereich überhaupt engagieren zu wollen. Und noch mal abgesehen davon, dass auch sonstwo in der Wirtschaft Kleinstbeträge nicht gut bewirtschaftet werden können – auch als Systemproblem, wohlverstanden.

Was bislang bei Zeitungen formuliert wurde war genau wie beim „Werbeknete“-Modell wiederum die Abstützung auf externe Dienstleister für Kleinsummen­einzüge. Siehe dazu zum Beispiel taz, „Die Journalismus-Flatrate„, und ggf. meinen Kommentar dort – da wird zu den Dienstleistern „readly“ und „blendle“ berichtet, bei denen es um Beträge zwischen 10 (selten) und 29 Cent geht mit ersten Durchschnittsvermutungen bei 20 bis 25 Cent für Agenturartikel sowie Höhen bis 89 Cent für „teure“ Artikel.  Bei einer Abstützung auf externe Dienstleister wird da weniger als 20, 30 Cent pro Artikel kaum zu machen sein, denn die Dienstleister (mit diversen Zwischenhändlern) müssen sich alle miteinander auch erst mal sattmachen, bevor die Zeitungen mit ein paar Cent Anteil überhaupt drankommen.

Meiner Ansicht nach sieht es derzeit nicht gut aus für irgendwelche Paywalls.

Ergänzung September 2015:

Der niederländische Dienstleister „blendle„, der oben als ein Ausblick auf „Verlegerlösungen“ schon thematisiert wurde, drängt allmählich auf den „deutschen“ (= deutschsprachigen) Markt. Im Laufe des September 2015 will dieser Anbieter mindestens für einige „große“ Zeitungsplattformen in Deutschland Einzelartikelzugänge kostenpflichtig anbieten. Deshalb wird dieses konkrete Angebot nunmehr verstärkt betrachtet und bewertet – auch auf die in diesem Blogbeitrag besonders im Fokus stehenden Fragen der Preise für den Konsumenten hin. Ein Beispiel für einen spezifizierteren Blick auf die Preise des Angebots liefert zum Beispiel ein Blogbeitrag eines gewissen Matthias Schwenk (ein Unternehmensberater, anscheinend mit Schwerpunkt „irgendwas mit Medien“) auf seinem Blog „bwl zwei null“ unter dem Titel „Was Blendle tun muss um mich als Leser zu halten„. Darin werden ein paar konkrete Preise genannt, wie sie sich im September 2015 (vor dem kickoff des Angebots) präsentieren. Grundsätzlich ist es eine Bestätigung der Annahmen aus 2014 wie sie oben angesprochen wurden. Neben einigen „Lockangeboten“ im Bereich 15 bis 25 Cent dürfte die Masse der angebotenen Artikel im Preisbereich jenseits von 30, 40 Cent liegen. Gesondert aufgeführt wird beispielsweise ein Artikelpreis aus dem Spiegel von 1,99 Euro, der allerdings kein Einzelfall ist.

Solche Angebote *können* in der Masse nicht verfangen – das scheint mir völlig unmöglich.


(**1**) – Die Einschätzung, dass werbebasierte Einkünfte im Netz den Verlagen nichts oder nicht genug einbringen, ist eine sehr prominent vertretene und sozusagen beinahe schon eine „Banalität“. Einer der großen Verlagschefs – Hubert Burda – hatte auf einer der vom Burda-Verlag veranstalteten Medien-Konferenzen im Jahr 2009 einen seither umläufig gewordenen Begriff geprägt, der seine Meinung zum Werbemodell prägnant zusammenfaßt: „You get lousy pennies on the web“. Das findet die gesamte Medienbranche seither immer mal wieder anstössig, weil es ausgerechnet Burda von allen deutschen Verlegern war, der frühzeitig auf starke Expansion in alle elektronische Medien setzte und damit enorme Erfolge hatte und hat – just diesem erfolgreichen „Anwalt des Netzes“ kann man also nicht vorwerfen, er sei ein rückständiges Artefakt, das die „neuen Medien“ nicht begreife.

(**2**) – Das Problem mit „paywalls“ bei Netzangeboten wird wiederum von Hubert Burda (siehe obige Fussnote) in genau gleicher Form gesehen. Diesmal im Zusammenhang mit einer Medien-Konferenz im Jahr 2015, in deren Zusammenhang er sowohl twitterte als auch in einem Interview äußerte, „I doubt if people will pay for special content behind the paywall“. Und wieder sind es die Apologeten der „paywall“ wie Kneese von Springer (derjenige, der das LSR im Springer-Auftrag durchdrückte), die empört und verwirrt auf diese Offensichtlichkeit reagieren.

Blättertod 5 – Was ist ein Artikel online wert?

2 Gedanken zu “Blättertod 5 – Was ist ein Artikel online wert?

  1. Tantewojt schreibt:

    Danke für diesen Beitrag. Er spricht mir aus der Seele. Ich lese gern mal eine Zeitung, aber nicht so gern, dass ich eine abonniert hätte (Mir fehlt einfach im Moment die Zeit). Äußerst selten kaufe ich mir ein Exemplar am Kiosk.
    Im Netz dagegen lande ich dagegen häufig durch Verlinkungen aus Blogs und Foren aus Seiten von Zeitungen und stehe dort inzwischen relativ häufig vor einer Pay-Wall. Hier bin ich dann meistens raus, da aus meiner Sicht Mondpreise verlangt werden. Von 1,5 € für den Artikel bis zu Abo-Angeboten für den gesamten Monat. Zugegeben die Abo-Preise halten sich im Rahmen, aber ich will nicht ganzen Monat schauen ob ich was interessantes finde, sondern einen Artikel lesen und dieser wäre mir, wie im Beitrag erläutert, ca. 10 – 20 Cent wert. Endlich jemand der es genau so sieht wie ich. Ich habe mich schon immer gefragt, wer das komische Bild_Plus bezahlt?

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    1. Vielen Dank für Ihren Beitrag. Allerdings hatte ich (zugegeben: etwas verklausuliert) den „Wert“, den ich selbst für „realistisch“ halten würde, auf „deutlich unter 10 Cent“ eingeschätzt. Daraus resultierte dann auch mein Pessimismus hinsichtlich der Machbarkeit solcher Preise überhaupt. Über Fremd-Dienstleister über diverse Stufen sind solche Werte meiner Kenntnis nach überhaupt nicht zu machen.

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